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[ U-Bahn-Archiv / historische Dokumente / Strecke A ]

Sonderdruck aus "Glasers Annalen für Gewerbe und Bauwesen"
Jahrgang 1908, Bd. 63 Heft 4 Seite 71


Vortrag des Baurat Wittig

über die Untergrundbahn vom Potsdamer Platz zum Spittelmarkt

gehalten bei der Besichtigung der Tunnelarbeiten durch

den Verein für Eisenbahnkunde
den Berliner Architekten-Verein
die Vereinigung Berliner Architekten

am 12. Mai 1908


Die Untergrundbahn vom Leipziger Platz zum Spittelmarkt, deren Eröffnung zum Oktober dieses Jahres in Aussicht genommen ist, wird den Linien der Hochbahngesellschaft, die bisher in der Hauptsache die südlichen wund westlichen Bezirke der Stadt durchfahren, den Weg in das Stadtinnere erschließen. Die Länge der Hoch- und Untergrundbahn wächst dann mit dieser neuen Strecke auf nahezu 18 km. Ueber die allmähliche Erweiterung des Schnellbahnnetzes der Hochbahngesellschaft sei bemerkt, daß die Stammstrecke von der Warschauer Brücke nach dem Zoologischen Garten mit der Abzweigung nach dem Potsdamer Platz in einer Länge von 10,2 km am 25. März 1902 eröffnet wurde; diese Strecke ist nach und nach in westlicher Richtung erweitert worden und zwar am 14. Dezember 1902 bis zum Knie mit 1,0 km, am 14. Mai 1906 bis zum Wilhelmplatz mit 1,4 km und am 29. März 1908 von der Haltestelle Bismarckstraße unter der Döberitzer Heerstraße entlang bis zum Reichskanzlerplatz mit 2,8 km Bahnlänge. Die Fortführung der Bahn in die Innenstadt beginnt, wie schon bemerkt, mit dem Linienabschnitt Leipziger Platz-Spittelmarkt (Abb. 1), dem sich die Fortsetzung über den Alexanderplatz bis zur Schönhauser Allee anreihen wird; für diese Fortsetzung ist die staatliche Genehmigung bereits erteilt, für eine Anschlußlinie vom Alexanderplatz durch die Frankfurter Allee ist sie beantragt. Nach Vollendung dieser Linien wird eine durchgehende Schnellbahnverbindung vom äußersten Westen Groß-Berlins quer durch die Innensatdt nach dem Norden und Osten Berlins vorhanden sein. Das Liniennetz mit seinen technischen Verkehrseinrichtungen wird so leistungsfähig ausgestaltet werden, daß es auch noch seitliche Zweige aufnehmen kann.


Abb. 1.  Linien der Hochbahngesellschaft (Eröffnungszeiten).


Die Untergrundbahn vom Leipziger Platz zum Spittelmarkt - die Spittelmarktlinie - ist als Einführungslinie in die Innensatdt der wichtigste, aber auch der schwierigste Teil des Bahnnetzes; schwierig ist sie in der Linienführung, in ihren wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen und im technischen Ausbau. Selten wird auch wohl eine verhältnismäßig so kurze Bahnstrecke eine gleich wechselvolle Entstehungsgeschichte haben, wie diese Bahn



Abb. 2.  Linienführung der Untergrundbahn Leipziger Platz-Spittelmarkt mit ihren Vorstadien.


Was ihre Linienführung betrifft, so lag es begreiflicher Weise am nächsten, den Weg durch die Leipziger Straße zu wählen. Ein s. Zt. von der Firma Siemens & Halske bearbeiteter dahingehender Vorschlag wurde indessen in den Verhandlungen mit den Aufsichtsbehörden als unannehmbar angesehen (Abb. 2, a). Nach dem damaligen Stande der Tunnelbaukunst wurden einerseits unerträgliche Störungen des Straßenverkehrs befürchtet, anderseits wegen der Standfestigkeit der Häuser Besorgnisse gehegt, wenngleich die Firma Siemens & Halske sich erboten hatte, für die Ausführung eine besondere Baumethode unter Tage zur Anwendung zu bringen. Nach Ablehnung der Leipziger Straße blieb nur der Weg durch die Voß- und Mohrenstraße übrig. Aber gerade das Abbiegen aus der Leipziger Straße in die Parallelstraße und das Wiedereinschwenken in diesen Straßenzug am Spittelmarkt verursachten eine Reihe von Schwierigkeiten, die zeitweise fast unüberwindlich schienen.

Für die Ueberführung der Untergrundbahn von ihrem bisherigen Endpunkt an der Königgrätzer Straße in die Voßstraße wurde zunächst versucht, die öffentlichen Straßenzüge zu benutzen und die Bahn unter dem Potsdamer Platz hindurch in die Voßstraße einbiegen zu lassen. Diese Linienführung wurde aber wegen der Häufung enger Kurven und vor allem wegen der beim Bau zu erwartenden unerträglichen Verkehrsstörungen auf dem Potsdamer Platz aufgegeben. Gleichzeitig waren die verschiedensten Möglichkeiten untersucht worden, quer über den Leipziger Platz nach der Voßstraße zu gelangen. Seit 1901 ist wegen Durchführung der Bahn unter dem Grundstück des Reichsmarineamtes verhandelt worden, jedoch ohne Erfolg, da der von dieser Behörde beabsichtigte Neubau in der Bellevuestraße vom Reichstag im Frühjahr 1903 abgelehnt wurde. Eine andere Möglichkeit ergab sich, als der Weg zur Voßstraße aus Anlaß einer Erweiterung des Warenhauses Wertheim offengelegt wurde. In diesem Erweiterungsbau ist dann, wie bekannt, ein Raum für die Durchlegung des Tunnels hergestellt und in dieser Durchfahrt auch der Tunnel zum größten Teil bei der Herstellung des Neubaues mit ausgeführt worden; andere Teile des Tunnels liegen unter dem Reichsmarineamt, dessen Unterfahrung für diesen Zweck zurzeit im Bau ist.



Abb. 3.  Lageplan des Bahnhofs Leipziger Platz.



Abb. 4.  Durchfahrt unter dem Hotel Fürstenhof.

So war also die Lösung für den Weg der Bahn vom Leipziger Platz in die Voßstraße gefunden; die Verlängerung von der Königgrätzer Straße bis zum Eintritt in den Leipziger Platz, d. h. der Durchbruch der Häuserreihe auf der Südseite des Leipziger Platzes schien anfangs keine besonderen Hindernisse zu bieten, doch stellte sich auch hier unerwartet große Schwierigkeit ein, als (1904) die ganze Häuserreihe zwischen der Königgrätzer Straße und dem Leipziger Platz von der Firma Aschinger für einen großen Hotelbau angekauft wurde. Es gelang indessen, mit der Aschingergesellschaft wegen Einbau des Bahnhofes "Leipziger Platz" in den Neubau des Hotels Fürstenhof eine gütliche Einigung zu erreichen (Abb. 3 u. 4). Ohne eine rechtzeitige Verständigung mit der Gesellschaft wäre der Weg über den Leipziger Platz wohl für alle Zeiten abgeschnitten gewesen.

Nicht ohne Besorgnis ist die Hochbahngesellschaft an die Untertunnelung so großer und wertvoller Häuser herangetreten. Störungen durch den Bahnbetrieb würden ihr die last dauerhafter Entschädigungen zugezogen haben. Sichere Erfahrungen über derartige Ausführungen unter ähnlichen Verhälnissen lagen nicht vor. Um das bestmögliche zu erreichen, ist der Tunnel von allen Hauskonstruktionen völlig getrennt gehalten und die neben dem Tunnel herlaufenden Hausfundamente sind tief unter die Tunnelsohle hinabgeführt worden. Diese Ausführungsweise hat ein sehr befriedigendes Ergebnis geliefert; durch sorgfältige Beobachtungen ist festgestellt, daß der seit Oktober v. Js. eröffnete Bahnbetrieb unter dem Hotel Fürstenhof im Hause keinerlei Störung durch Uebertragung von Betriebsgeräusch verursacht.

Alle diese mit großen Kosten verbundenen Vorbereitungen für die Einlenkung der Bahn in die Voßstraße waren für die Hochbahngesellschaft ein Wagnis insofern, als die Erfolge der mit der Stadtgemeinde Berlin geführten Verhandlungen wegen der Genehmigung der Spittelmarktlinie noch keineswegs sicher waren. Im Gegenteil: die Stadtgemeinde befand sich gar nicht in der Lage, uns die Ausführung zuzusichern, weil von der Großen Berliner Straßenbahn gegen die Untergrundlinie der Konkurrenzeinwand erhoben worden war. Die Feststellungsklage, welche am 8. Februar 1904 von der Stadt dagegen erhoben wurde, mußte durch alle drei Instanzen geführt werden, bis schließlich durch Reichsgerichtserkenntnis vom 10. Juli 1905 der Prozeß zu Gunsten unserer Linie entschieden wurde.

Soviel von den Schwierigkeiten, die mit dem Uebergang der Linie in die Voßstraße verknüpft waren.


Die Hindernisse auf der Endstrecke der Linie, welche sich dem Wiedereinbiegen der Bahn in den Zug der Leipziger Straße am Spittelmarkt entgegenstellten, hingen damit zusammen, daß der Straßenzug Voß- und Mohrenstraße am Hausvogteiplatz abbricht. Verschiedene Lösungen für die Führung dieser Endstrecke wurden versucht. Zunächst kam eine Durchbrechung des Häuserblocks im Zuge des grünen Grabens in Frage, später wurde über die Durchlegung einer Straße vom Hausvogteiplatz zum Spittelmarkt verhandelt (vergl. Abb. 2, c), auch die Herstellung einer Rampe in diesem Häuserblock und die Weiterführung der Bahn als Hochbahn über den Spittelmarkt und die beiden Wasserläufe der Spree hinweg eingehend erwogen. Alle diese Vorschläge scheiterten, und zwar in erster Linie an der Höhe der Kosten. Ein zufälliger Umstand führte zur endgültigen Lösung; während die Verhandlungen mit der Stadt über den Vertrag schwebten, wurde im Jahre 1905 das südliche Eckhaus an der Markgrafen- und Taubenstraße abgerissen. Die Hochbahngesellschaft trat sogleich mit dem Besitzer wegen Durchführung der Bahn durch dieses Grundstück in Verhandlung, um über dieses den Weg zur Taubenstraße und damit durch die allerdings sehr enge Niederwallstraße zum Spittelmarkt zu gewinnen. Auch diese Verhandlungen führten zum Ziel. Aber es trat insofern wieder eine Erschwerung ein, als der Besitzer des Hauses den Einbau des Bahntunnels nicht abwarten konnte, sondern genötigt war, wegen bereits geschlossener Mietverträge den Bau ohne Verzug fertigzustellen. So mußte dieses große Geschäftshaus, nachdem es eben fertiggestellt war, neu abgesteift, im Kellergeschoß wieder gänzlich umgebaut und für die Unterfahrung des Tunnels eingerichtet werden.


Abb. 5.  Querschnitt durch den Tunnel in der Niederwallstraße.

Die Schlußstrecke in der engen Niederwallstraße zeigt eine Ausführungsweise, die bisher in Berlin zum ersten Male zur Anwendung gekommen ist (Abb. 5). Die Tunnelsohle reicht tief unter die dicht neben der Bahn stehenden Häuser hinab, ohne daß deren Fundamente unterfahren worden wären. Nichtsdestoweniger haben die Gebäude infolge des Bauvorgangs erhebliche Nachteile nicht erlitten. Die Ausführung ist, wie in allen belebten Straßen, unter einer Abdeckung von Holzbohlen erfolgt, so daß der Verkehr in der Straße nicht unterbrochen zu werden brauchte.

In der Entwicklungsgeschichte der Spittelmarktlinie spiegelt sich so auch zum Teil die Entwicklung der Tiefbautechnik. Wenn heute unter Würdigung der Fortschritte, die im letzten Jahrhundert bei den Tunnelbauten der Hochbahngesellschaft gemacht worden sind, wohl gesagt wird, daß die Technik Schwierigkeiten auf diesem Gebiet nicht mehr kenne, so darf dabei allerdings bei Unternehmungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, also auch eine angemessene Rente bringen sollen, nicht übersehen werden, daß die Betätigung dieses großen technischen Könnens auf der anderen Seite leicht mit unerschwinglichen Kosten verbunden sein kann. Die kilometrischen Kosten der Spittelmarktlinie werden sich einschließlich der Betriebsausrüstungen auf etwa 10 Millionen Mark stellen. Wenn wir uns dennoch nicht gescheut haben, diese gewaltigen Kosten aufzuwenden, so ist das geschehen im Hinblick darauf, daß an dieser Stelle ein entsprechender Verkehr vorhanden sei; den Entschließungen sind natürlich sehr eingehende Verkehrsermittlungen vorangegangen.



Abb. 6.  Untergrundbahn Leipziger Platz-Spittelmarkt.



Abb. 7.  Innenansicht des Bahnhofs Leipziger Platz.

Was nun die Plangestaltung und technische Ausbildung der Spittelmarktlinie (Abb. 6) anlangt, so unterscheidet sie sich von den bisherigen Strecken dadurch, daß statt der seither verwendeten Seitenbahnsteige Mittelbahnsteige eingeführt wurden. Der Vorteil liegt auf der Hand; es ergeben sich sich Vereinfachungen sowohl in der baulichen Anlage als auch in der Abwicklung des Betriebsdienstes und des Verkehrs. Die Bahnhöfe werden an beiden Enden Eingänge erhalten, die natürlich in der Straße liegen müssen. Stellenweise sind, damit die Eingänge möglichst wenig Straßenfläche einnehmen, doppelte Zugangstreppen angeordnet worden, von denen die innere von den zugehenden, die äußere von den abgehenden Reisenden benutzt wird.

Auf den bereits eröffneten Bahnhof "Leipziger Platz" (Abb. 7) folgen die Stationen:
Kaiserhof, zwischen Wilhelm- und Mauerstraße,
Friedrichstraße, zwischen Friedrich- und Charlottenstraße,
Hausvogteiplatz, zwischen Markgrafenstraße und Hausvogteiplatz,
Spittelmarkt, zwischen Spittelmarkt und Neue Grünstraße.


Abb. 8.  Eingang zur Untergrundbahn am Wilhelmplatz. Berlin.

Im Zusammenhang mit dem bau des Bahnhofes "Kaiserhof" erhält der Wilhelmplatz eine für den Verkehr wichtige Umgestaltung dadurch, daß nunmehr der Straßenzug der Mohrenstraße zur Voßstraße durchgeführt wird, wobei er eine auf dem Platz liegende ovale Mittelinsel umschließt. Auf dieser liegt inmitten von Gartenanlagen der Eingang zur Haltestelle, der eine reichere architektonische Ausgestaltung erhalten wird (Abb. 8); der Vorraum wird mit Majoliken aus den Kaiserlichen Werkstätten in Cadinen ausgekleidet. Alle übrigen Eingangstreppen der Haltestellen werden mit portalartigen Eingängen aus Schmiedeeisen von durchweg gleicher Ausbildung versehen, die einheitlich auch für alle Verlängerungslinien Verwendung finden wird. Die Innenwände der Bahnhöfe werden mit glasierten Steinen bekleidet und mit farbigen Einlagen versehen, die die Orientierung erleichtern sollen. Die Wände des Bahnhofes Leipziger Platz erhielten grüne Farbeinlagen; für den Bahnhof Kaiserhof ist schwarz, für Friedrichstraße rot, für Hausvogteiplatz gelb und für Spittelmarkt blau gewählt worden. Der letztgenannten Station, die unmittelbar an der Kaimauer des Spreelaufes liegt, wird durch seitliche Fenster, die oberhalb der Kaimauer liegen, direkte Beleuchtung und Lüftung zugeführt (Abb. 9).


Abb. 9.  Bahnhof Spittelmarkt. Tunnelbau an der Spree.



Abb. 10.  Vorbereitungen in der Friedrichstraße für die
Unterkreuzung durch die Süd-Nord-Bahn.



Abb. 11.  Vorbereitungen in der Friedrichstraße für die
Unterkreuzung durch die Süd-Nord-Bahn.

Bei wichtigeren Straßenkreuzungen ist durch Eiseneinlagen in der Tunnelsohle, bei einigen auch noch durch große Gitterträger, die in die Seitenwände eingebaut sind, dafür gesorgt worden, daß eine spätere Untertunnelung der Bahn durch kreuzende Linien erleichtert wird. Die Stadt Berlin hat sich derartige Vorkehrungen in der Markgrafenstraße und Friedrichstraße (Abb. 10 u. 11) ausbedungen. In der Leipziger Straße sind ähnliche Einbauten für den Tunnel der Straßenbahn vorgesehen worden.

Die Bearbeitung der Projekte und die Leitung des Baues der Spittelmarktlinie haben die Hochbahngesellschaft und die Firma Siemens & Halske gemeinsam bewirkt; die Tunnelausführung wurde der Gesellschaft für den Bau von Untergrundbahnen übertragen, die architektonische Ausbildung lag in der Hand des Herrn Professors Grenander.


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