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DER

S P R E E T U N N E L

ZWISCHEN

STRALAU UND TREPTOW

BEI BERLIN




AUSGEFÜHRT IN DEN JAHREN 1895-1899

VON DER

GESELLSCHAFT FÜR DEN BAU VON UNTERGRUNDBAHNEN

G. M. B. H.

ZU BERLIN.




BERLIN.

VERLAG VON JULIUS SPRINGER.

1899.





Inhaltsverzeichnis.




1. Allgemeines

2. Anordnung und Bauweise des Tunnels

3. Verlauf und Ergebnisse des Tunnelbaues



1. Allgemeines.

Die Entwicklung der modernen Grossstädte geht neue Wege. Hinsichtlich der Räumlichkeit kennt sie keine Schranken mehr; die wohnende Bevölkerung wird immer mehr nach aussen in die Vorstädte und Vororte gedrängt, während sich das Erwerbsleben vorwiegend der Innenstadt bemächtigt, die sich durch gewaltige Neu- und Umbauten mehr und mehr den veränderten Zwecken anpasst. Die Folgen solcher Verhältnisse sind die Massenbewegungen der Bevölkerung, welche sich vornehmlich zwischen den äusseren und inneren Zonen ebbend und flutend mit gleichbleibender Regelmässigkeit tagtäglich wiederholen. In den frühen Morgen- und Vormittagstunden wendet sich der Strom zur Innenstadt, am späten Nachmittag und am Abend in die Wohnbezirke zurück. Neben diesem pulsierenden Massenverkehr der heutigen Grossstädte treibt der binnenstädtische Lokalverkehr in den verschiedenen - vorwiegend zentralen - Richtungen seine Wogen. Derartige mit jedem weiteren Anwachsen des grossstädtischen Bezirks mächtiger anschwellende Bewegungen sind erst möglich geworden durch den unvergleichlichen Aufschwung, den die Verkehrstechnik in unseren Tagen genommen hat, seit an die Stelle der tierischen Zugkraft in immer ausgedehnterem Maasse die mechanischen Kräfte, zuletzt die Elektrizität getreten sind, und seit durch Einrichtung schnellfahrender Verkehrsmittel auf besonderem Bahnkörper, losgelöst vom hemmenden Verkehrsgetriebe in den innerstädtischen Strassenzügen, das Hindernis der räumlichen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsstätte im wesentlichen beseitigt worden ist. Solche vom übrigen Verkehr losgelöste Beförderungsanlagen in Gestalt selbständiger Tunnel oder auf Viadukten geführter Stadtbahnen in Verbindung mit den schnellfahrenden Verkehrsmitteln der Aussenbezirke sind für das weitere Aufblühen der Grossstädte von ausschlaggebendem Einfluss, ja geradezu eine Lebensfrage geworden.

Seit Jahrzehnten schon hat die englische Hauptstadt in Schnellverkehrsdingen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Man hat sie gerühmt als leuchtendes Muster für grossstädtische Verkehrspolitik, das bekunde, was die Verkehrstechnik, nicht auf das Drängen oder den Zwang der Verhältnisse wartend, vielmehr vorbeugend und vorsorgend zur Hebung der grossstädtischen Wohlfahrt beizutragen vermöge. Bereits vor zwei Jahrzehnten, im Jahre 1881 hatte die Stadt, soweit sie als geschlossen bebaut gelten konnte, d. i. der Bezirk von London proper, einen Flächenraum von 305 qkm und 3 816 485 Einwohner, Grosslondon dagegen 1787 qkm Ausdehnung mit einer Bewohnerzahl von 4 766 660 Köpfen. Auf jede 10 000 Einwohner und 0,8 qkm Grundfläche von London proper und auf jede 5400 Einwohner und 2 qkm Fläche von Grosslondon kam bereits 1 km Eisenbahn ausserhalb des Strassenniveaus. Auf 1170 qkm Kreisfläche um die St. Pauls-Kirche, entsprechend einem Kreisdurchmesser von 38,6 km, zählte man 700 km Bahnlinien mit 400 Stationen. Etwa 40 km waren Tiefbahnen, ungefähr 45 km ausgesprochene Hochbahnen, sämtlich mit Dampfbetrieb. Der Anteil des einzelnen Bewohners am Bahnbestande hat sich seitdem trotz bedeutender Zunahme der Einwohnerzahl - hatte doch London proper im Jahre 1891 4 211 056, Grosslondon 5 633 332 Einwohner - nicht wesentlich geändert, da auch die Bahnen sich weiter ausgedehnt haben, aber der Verkehr ist so sehr angeschwollen, dass man heute im Durchschnitt auf den Einwohner jährlich an 200 Fahrten im örtlichen Verkehr rechnen kann, eingerechnet die Strassenbahnen und die Omnibusse. Die letzteren beherrschen in London grosse Teile desjenigen Arbeitsfeldes, das in anderen Grossstädten den Strassenbahnen zugewiesen ist, die in London nur eine bescheidene Rolle spielt.

Die Zahl der Untergrundbahnen hat inzwischen noch um 3 weitere zugenommen, die in ihrer Linienausdehnung von 20 km etwa ein Drittel eines geplanten grösseren Netzes von Untergrundbahnen darstellen, die den älteren gegenüber den grossen Vorzug elektrischer Betriebsweise haben.

Dem Londoner Beispiel sind seit geraumer Zeit andere englische Grossstädte gefolgt. Glasgows Entwicklung hat derart zugenommen, dass bereits auf jede 20 000 Einwohner im Weichbilde 1 km Eisenbahn zu rechnen ist. Glasgow verfügt heute bereits über 25 km Untergrundbahnen.

So bedeutend die Leistungen der Engländer auf dem Gebiete des städtischen Schnellverkehrswesens aber auch sind, so werden sie durch die Schöpfungen der Amerikaner doch noch übertroffen. Des ausgedehntesten Netzes von städtischen Schnellbahnen mit besonderem Bahnkörper darf sich Gross-Newyork rühmen. Im eigentlichen Newyork befinden sich Hochbahnen in einer Ausdehnung von 61 km, Brooklyn hat 32 km Hochbahnen. Der Plan eines ausgedehnten Untergrundbahnnetzes in diesen Städten wird erwogen. Auf den Einwohner der beiden Städte konnte man 1896 nicht weniger als 246 Reisen in Ansatz bringen, die allein auf Hoch- und Strassenbahnen ausgeführt wurden. Chicago verfügt über drei elektrisch betriebene Hochbahnen von zusammen 105 km Ausdehnung, die einen von Jahr zu Jahr steigenden Verkehr zu bewältigen haben. Fesselnd und kennzeichnend ist das Bild, das ein sehr angesehenes amerikanisches Fachblatt mit wohlverständlicher Genugthuung über den Umschwung entwirft, den das gesamte Wirtschaftsleben der Stadt Boston in letzter Zeit erfahren hat, obwohl hier in Hinsicht des Schnellverkehrs in den inneren Stadtteilen - so manches auch bereits geschehen ist - doch noch sehr umfassende Aufgaben zu lösen sind. Boston ist eine Stadt von mehr als einer Million Einwohner, aber die Hälfe davon lebt nicht im eigentlichen Boston, sondern in einigen dreissig Vorstädten und Vororten, eine halbe Stunde Fahrweite vom geschäftsviertel der Stadt entfernt, gesund und behaglich und in geordneten Verhältnissen. "Reich und arm wohnt draussen, nicht in Gruppen von Mietskasernen, vielmehr die besser Gestellten in sauberen Landhäusern mit schattigen Bäumen und allen Bequemlichkeiten des städtischen Wohnens, die weniger Bemittlten in geschmackvollen Einzelwohnhäusern, jedes mit Gärtchen und Grasplatz; man hält nachbarlich getreu zusammen und ist stolz auf die örtlichen Verhältnisse. Ueberall Gaslicht, elektrisches Licht, Wasserversorgung, Entwässerung und - Strassenbahnen. Ueberall Wohlfahrt und Gedeihen in grösserem oder kleinerem Kreise und verhältnismässig wenig erdrückende Armut oder Mietshaustum." Welche Rolle dabei der Verkehr spielt, kann man daraus ersehen, dass im verflossenen Abrechnungsjahr nicht weniger als 23 Millionen Menschen auf den - elektrischen - Strassenbahnen von Grossboston mit seinen 5/4 Millionen Einwohnern befördert worden sind. Fernere 50 Millionen Personen fahren auf den Dampfbahnen Boston's ein und aus. Welches Gewicht daher die Stadt in letzter Zeit auf die Herstellung von Schnellverkehrslinien auch in der Innenstadt gelegt hat, hat sie bewiesen durch die Herstellung einer Untergrundbahn, die unter besonders erschwerenden Umständen unter einigen der belebtesten binnenstädtischen Strassen hergeführt ist. Es ist jetzt begonnen worden, im Anschluss an diese Bahn ausgedehnte weitere Schnellverkehrslinien zu errichten.


Auf dem europäischen Festlande reifen die Dinge weniger schnell, als im Mutterlande des modernen Verkehrswesens und in der neuen Welt. Man hat die Vettern jenseits des Kanals und des Weltmeeres ob ihres Unternehmungsgeistes lange bewundert, ihre Verkehrsmittel in emsiger Arbeit gründlich studiert, aber etwas spät begonnen, die gesammelten Erfahrungen in die Wirklichkeit zu übersetzen. In Europa dürfte Berlin das interessanteste festländlische Beispiel grossstädtischer Verkehrsentwicklung darstellen. Die deutsche Hauptstadt hat sich unter allen Festlandstädten am schnellsten und bedeutendsten entwickelt, und wenn ihrer weiteren entwicklung durch eine gesunde Verkehrspolitik Vorschub geleistet wird, wird man sie in nicht zu ferner Zeit den bereits angeführten Auslandsstädten würdig an die Seite stellen können.

Die folgende Tabelle lässt erkennen, wie schnell und bedeutend namentlich in der jüngsten Zeit die Einwohnerzahl der Berliner Vororte zugenommen hat. Zwar hat sich auch die Bevölkerung innerhalb des Weichbildes beständig vermehrt, aber das Anwachsen hat in den letzten Jahrfünften doch wesentlich abgenommen.


Einwohnerzahl 1858 1871 1875 1880 1885 1890 1895
Berlin    .    .    .    .    .    . 458 637 826 341 966 858 1 122 330 1 315 287 1 578 794 1 678 859
Vororte (innerhalb des
vormaligen Polizei-
bezirks)    .    .    .    .    .
30 450 57 676 103 949 123 333 163 546 268 507 434 588
Zusammen 489 087 884 017 1 070 807 1 245 663 1 478 833 1 847 301 2 113 447

Ueber das Anwachsen des Verkehrs giebt die Tabelle keine Auskunft. In dieser Hinsicht sind die folgenden vom Stadtbauinspektor Pinkenburg in Berlin zusammengetragenen Angaben besonders lehrreich, welche ersehen lassen, wieviel jährliche Fahrten auf jeden Einwohner Berlins allein im Verkehr der Stadt- und Ringbahn und der Strassenbahnen zu rechnen sind.


Jahr Zahl der jährlichen Fahrten eines Einwohners
auf der
Stadt- und Ringbahn
Zunahme auf den
Strassenbahnen
Zunahme
1882   8 Seit 1882   55 Seit 1882
1885 12 525 Prozent   66 105 Prozent
1890 21 Seit 1890   91 Seit 1890
1895 39 138 Prozent 100 24 Prozent
1897 50   113  

Wie man sieht, hat jeder Berliner Einwohner im Jahre 1897 bereits 163 Fahrten im Stadtringbahn- und Strassenbahnverkehr zurückgelegt; es ergeben sich bereits 190 Fahrten, wenn noch die Omnibusse eingerechnet werden. Diese Zahlen legen ohne weiteres den Gedanken nahe, ob denn die Entwicklung der Verkehrsmittel mit den in den vorstehenden Zahlen zum Ausdruck kommenden ausserordentlich gestiegenen Bedürfnis noch Schritt hält. Kann die Frage für die Strassenbahnen zur Zeit vielleicht im bejahenden Sinne beantwortet werden, so ist zweifellos in Sachen der Schnellverkehrsmittel noch ausserordentlich vieles nachzuholen. Es bedarf kaum des vorstehenden Nachweises, dass sich seit 1882 der Strassenbahnverkehr nur verdoppelt hat, während sich der Stadt- und Ringbahnverkehr mehr als versechsfachte, um das Bedürfnis nach neuen Schnellverkehrsmitteln zu begründen; der blosse Augenschein lehrt dies bereits in überzeugender Weise. Die Anforderung, Strassen wie die Leipziger Strasse, die Friedrichstrasse und viele andere innerstädtische Verkehrsstrassen dadurch zu entlasten, dass aus dem darin herrschenden Gewühl der Verkehr der längeren Strecken ausgeschieden und auf besondere Fahrbahnen, Hoch- oder Tiefbahnen geführt wird, hängt bereits aufs Engste mit der einschneidenden Frage zusammen, wieweit die Belastung solcher Verkehrsadern mit den Betriebsmitteln der Strassenbahn denn noch zunehmen könne, ohne die Betriebsgefahren in unzulässiger Weise zu steigern. Die Thatsache, dass neue Verkehrsmittel stets auch neuen Verkehr wachrufen, und dass der Strassenverkehr und der Schnellverkehr nicht Konkurrenten sind, sondern sich in natürlicher Weise zu ergänzen haben, kann den Standpunkt des Abwartens und Erwägungen nicht rechtfertigen, der in Berlin die Angelegenheit hintanhält.

Die preussische Staatseisenbahnverwaltung hat zuerst volles Verständnis für die Verkehrsfragen der Hauptstadt bekundet und in der Stadt- und Ringbahn eine Anlage geschaffen, die ihrer Art mustergültig, die Entwicklung der Hauptstadt in segensreicher Weise gefördert und sich in kürzester Zeit zu einem unentbehrlichen Mittel für den städtischen Verkehr herausgebildet hat.

Die naturgemäss hierzu berufenen städtischen Behörden haben es nicht für angezeigt erachtetm in die Nachfolge des Staatseisenbahnverwaltung einzutreten, und so blieb die weitere Ausbildung der städtischen Schnellverkehrsanlagen der privaten Initiative überlassen, durch die ja auch eine derartige Unternehmung thatkräftiger und in kürzerer Frist gefördert werden kann, wie durch die Gesamtheit vielköpfiger Verwaltungskörper, die so schwer von der Stelle kommen.

In richtiger Erkenntnis der Verhältnisse wurden bereits 1891 zu gleicher Zeit von der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft und der Firma Siemens & Halske Entwürfe für umfassende Liniennetze von Tief- und Hochbahnen, die, unabhängig von einander aufgestellt, sich doch im Ganzen in glücklicher Weise ergänzten, als Ergebnis eingehender Verkehrsstudien den Behörden zur Prüfung und Entscheidung unterbreitet. Während der Siemens'sche Entwurf einer städtischen Hochbahn innerhalb der örtlichen und staatlichen Behörden im Allgemeinen wohlwollendes Entgegenkommen fand, schliesslich auch die Baugenehmigung erreichte, stiess der Untergrundbahnentwurf der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft auf unerwarteten Widerstand. Von den ersten und maassgebenden Technikern der städtischen Verwaltung wurde in Anbetracht der Berliner Bodenverhältnisse die beabsichtigte Baumethode geradezu als undurchführbar bezeichnet. Erst nach langwierigen Verhandlungen gaben die Behörden ihre Zustimmung zum Bau einer Probestrecke, die unter dem Spreebett am Treptower Park vorgetrieben und als tote Strecke liegen bleiben sollte.

Aus dieser Veranlassung trat im Jahre 1894 die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft mit der Firma Philipp Holzmann & Co. zu Frankfurt a. M., die durch reiche Erfahrung im Tiefbau, namentlich auch in Pressluftarbeiten, durch ihr geschultes Personal und durch ihre umfangreiche maschinelle Einrichtung für dir glückliche Durchführung städtischer Verkehrsunternehmungen Gewähr leistet, mit der Deutschen Bank, der Berliner Handels-Gesellschaft, der Nationalbank für Deutschland, den Bankhäusern Delbrück, Leo & Co., Jakob Landau in Berlin und der Firma Gebrüder Sulzbach in Frankfurt a. M. zur Begründung einer Gesellschaft für den Bau von Untergrundbahnen (G. m. b. H.) zusammen, zu deren Geschäftsführern der Regierungs- und Baurat C. Schnebel in Berlin und der Direktor der Firma Philipp Holzmann & Co., W. Lauter zu Frankfurt a. M. berufen wurden. Diese Gesellschaft, die sich den Bau von Untergrundbahnen zur Aufgabe gesetzt hatte, übernahm auch den Bau jenes Versuchstunnels. Zur Zeit der Genehmigung des Probetunnels stand die Gewerbeausstellung des Jahres 1896 noch bevor. Dies zeitigte den Entschluss, statt einer kürzeren nicht nutzbar zu machenden Probestrecke die Spree in ihrer ganzen Breite zu unterfahren, und gleichzeitig, um das fertige Bauwerk - wenngleich in beschränkter Weise - nutzbringend verwerten zu können, die Genehmigung für eine Strassenbahn vom schlesischen Bahnhof nach Treptow nachzusuchen, die durch den Tunnel hindurchgelegt werden sollte.

Die vorbereitenden Arbeiten für den Tunnelbau wurden im Sommer 1895 auf einem seitens der städtischen Behörden im Treptower Park zur Verfügung gestellten Bauplatz begonnen. Infolge sehr verspäteter Anlieferung eines Brustschildes, mit dessen Hilfe die Herstellung des Tunnels erfolgen sollte, konnte der Vortrieb erst Ende Februar 1896 begonnen werden. Damit war die Hoffnungm die Tunnelanlage schon während der Ausstellung dem Betriebe übergeben zu können, vereitelt. Es gelang nur noch, bis zum Herbste desselben Jahres eine 160 m lange fertige Probestrecke den Behörden vorzuführen, die dann auch den Besuchern der Ausstellung, freilich nur als eine Sehenswürdigkeit, zugänglich gemacht wurde. Die Tunnelarbeiten wurden sodann vorläufig eingestellt, um zunächst mit den Berliner Behörden über eine Weiterführung der Strassenbahn in das innere der Stadt zu verhandeln. Aber alle in dieser Beziehung aufgewendeten Bemühungen verliefen ergebnislos und so entschloss sich denn die Gesellschaft, auch ohne die gewünschte Konzession den Tunnel in ganzer Ausdehnung auszubauen. Die Bauarbeiten wurden im September 1897 wieder aufgenommen und sind dann bis zu der Ende Februar l. Js. erfolgten Vollendung des schwierigen Werkes ununterbrochen weitergeführt worden. Sie haben im Ganzen, abgesehen von allen Misshelligkeiten durch die Verzögerungen und Unterbrechungen, die der Gesellschaft erwachsen sind, einen Zeitraum von 2½ Jahren erfordert.

2. Anordnung und Bauweise des Tunnels.

Die allgemeinen Verhältnisse des Spreetunnels mit den anschliessenden offenen Rampen sind aus dem auf Tafel I dargestellten Lage und Höhenplan ersichtlich, während die Einzelanordnungen der Rampen und der Tunnelröhre, sowie die Bauweise der Letzteren auf der Zeichnung Tafel II dargestellt sind.

Der 454 m lange Tunnel kreuzt den 195 m breiten Spreefluss annähernd rechtwinklig und liegt in vom Wasser durchzogenem, oben feinerem, in den unteren Schichten gröberen Sande. Seine Tieflage ist so gewählt, dass über dem 4,0 m weiten Tunnelrohre noch eine Sanddecke von mindestens 3,0 m Stärke vorhanden ist. Der tiefste Punkt der Tunnelsohle liegt 12,0 m unter dem mittleren Wasserspiegel der Spree.



TAFEL I.   LAGE- UND HÖHENPLAN DES TUNNELS.


Die kreisförmige Tunnelröhre ist schachtelhalmartig aus einzelnen ringförmigen Gliedern von teils 0,65 m, teils 0,5 m Breite zusammengefügt und jeder Ring für sich ist wieder aus 9 Platten zusammengesetzt. Diese Platten bestehen aus Flusseisen und besitzen an allen 4 Seiten umgebördelte Flanschen, mit Hilfe deren sie mittels Schraubenbolzen zum fortlaufenden Rohrstrang verbunden sind. Die Flanschen bilden für das Rohr gleichzeitig eine äusserst wirksame Versteifung. Zwischen die einzelnen Ringe sind noch flache flusseiserne Reufen gelegt, die nach aussen rippenartig vortreten und dadurch die Steifigkeit der Röhre noch weiter erhöhen. Um das Eisen des Tunnelmantels vor Rost zu schützen und das Geräusch bei der Durchfahrt der Züge zu mindern, ist die Röhre mit einem 8 cm starken äusseren und einem 12 cm starken inneren Ueberzuge aus Zementmörtel versehen worden.

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TAFEL II.   LÄNGENSCHNITT DES IN DER AUSFÜHRUNG BEGRIFFENEN TUNNELS, QUERSCHNITTE DES TUNNELS UND
DER ANSCHLIESSENDEN OFFENEN RAMPEN.


Die lichte Weite des Tunnels ermässigt sich infolge des inneren Ueberzuges auf 3,75 m, ein Mass, das für die Durchfahrt eines Strassenbahnwagens von der üblichen Grösse noch vollkommen genügt. Neben der Wagen bleibt im Tunnel auch noch so viel freier Raum, dass in geeigneten Abständen Ausweichplätze für das Bahnpersonal angeordnet werden konnten. Auf der Sohle des Tunnels ist das Gleis in einem Betonkörper gelegt, in dem eine Rinne gelassen ist, um das Wasser aus den offenen Rampen dem tiefsten Punkt des Tunnels zuzuführen, von wo es eine Wasserstrahlpumpe zu Tag fördert.



TAFEL III.   ANSICHT DER FERTIGEN STRALAUER TUNNELRAMPE.


Die Schwierigkeit des Unternehmens lag in der Art und Weise, den Tunnel durch den mit Wasser durchsättigten feinen Sand, der das ganze Flussthal der Spree ausfüllt, hindurchzuführen. Diese Schwierigkeit konnte nur mit Hilfe von Pressluft, deren Aufgabe darin bestand, das Wasser zurückzuhalten, bewältigt werden. Wie dies geschah, ist an Hand der Tafel 2 zu erläutern.



TAFEL IV.   INNERE ANSICHT DES FERTIGEN TUNNELS WÄHREND DES BAUS.


Der bereits fertig gestellte Teil des Tunnels wurde von dem behufs Verdrängung des Grundwassers mit Pressluft gefüllten Arbeitsraum durch eine Querwand a abgetrennt. In dieser waren 2 Luftschleusen I für den Durchgang von Personen und Baustoffen nebeneinander angebracht. Den vorderen Abschluss des Arbeitsraums bildet der Brustschild, ein kurzes eisernes Rohr, das den Tunnel muffenartig noch etwas umfasste - also ein wenig weiter sein musste, als dieser - und vorn schräg angeschnitten und durch eine eiserne Wand c zugemacht war. In diesem Schilde befand sich noch eine weitere Querwand b, durch die der Arbeitsraum in 2 Kammern zerlegt wurde; in der vorderen A fand das Lösen des Gebirges, in der hinteren B der Aufbau und die Fertigstellung des Tunnelmantels statt.



TAFEL V.   ANSICHT EINER SCHLEUSENWAND.


Die Arbeiten, welche zum Einbau des Tunnelringes auszuführen waren, verliefen in ganz bestimmter wiederkehrender Reihenfolge. Zunächst wurden - zu vergl. Tafel 2 - die in der vorderen Querwand c befindlichen mit Schiebeklappen verschlossenen Oeffnungen einzeln aufgemacht und der davor lagernde, durch die Wirkung der Pressluft trockengelegte Sand abgegraben und in die Kammer gefördert. War auf solche Weise vor dem Schilde ein mässig grosser Spielraum gewonnen, so wurde der Schild durch 16 an seinem Umfange angebrachte kräftige Wasserdruckpressen d, die sich einerseits gegen die Querwand b, andererseits gegen den bereits fertiggestellten Tunnelmantel stützen, um die Breite eines Tunnelringes in das Gebirge vorgeschoben. Dann wurden die Kolben der Pressen zurückgezogen. In den nunmehr zwischen diesen und dem vorderen Ende des Tunnelmantels frei gewordenen Raum, der in der Zeichnung ersichtlich ist, wurde zunächstunter dem Schutze des Brustschildes ein neuer Ring eingebaut, der sodann durch Einstampfen von Mörtel in den schmalen ringförmigen Raum zwischen Tunnel und Schild die erforderliche Zementumhüllung erhielt. Die Herstellung der inneren Zementverkleidung bot keinerlei Schwierigkeiten.



TAFEL VI.   ANSICHT DES BRUSTSCHILDES.



Den Gefahren etwaiger plötzlicher Wasser- und Schlammeinbrüche durch die geöffneten Klappen der Querwand c war durch die Querwand b, mittels welcher die Kammer B gegen die Kammer A abgeschlossen war, in der Weise vorgebeugt, dass letztere in ihrem oberen Drittel ohne Oeffnungen gelassen war. Dieser obere Raum der Kammer A bildete also gleichsam eine Taucherglocke, die sich niemals ganz mit Wasser füllen konnte und so den Arbeitern stets eine sichere Zuflucht bot, aus der es in jedem Augenblick möglich war, durch ein bei f angebrachtes, leicht zu öffnenden Mannloch in die Kammer B überzusteigen.

Durch elektrische Beleuchtung sämtlicher Arbeitsräume, durch telephonische Verbindung derselben untereinander und mit dem über Tage befinglichen Maschinenhause und durch ununterbrochene angespannteste sachverständige Beaufsichtigung war dafür gesorgt, dass die Sicherheit der auszuführenden schwierigen Arbeiten allezeit in weitestgehender Weise gewährleistet blieb.

Auf die beschriebene Weise wurde die 374 m lange unter dem Treptower Ufer und dem Spreefluss gelegene Strecke des Tunnels hergestellt. Für die 80 m lange unter dem Stralauer Ufer gelegene und scharf gekrümmte Tunnelstrecke wurde von dem bergmännischen Vortrieb abgesehen und statt dessen der Einbau des Tunnels in offener mit Spundwänden eingeschlossener und in der Sohle durch Betonschichten gedichteter Baugrube bewerkstelligt. Die einzurammende Länge der Spundwände wechselte von 6,5 bis 11 m, die nasse Baggerung war auf Tiefen von 4,5 bis 9 m durchzuführen.

Dieses Verfahren ist für den höher liegenden Teil der Strecke ohne Anstand durchgeführt worden; innerhalb des tieferen, dem Spreeflusse benachbarten Teiles von 30 m Länge aber erwies sich infolge zu starken Auftriebes des auszubaggernden Bodens die Dichthaltung der 9,5 bis 11 m Langen Spundwände als schwierig. Man teilte daher diese Strecke durch Querwände in drei etwa 10 m lange Kasten, versah diese mit luftdichten Deckeln und konnte sie nun bequem mit Pressluft füllen, mit deren Hilfe die trockene Förderung des Bodens und die Betonirung der Sohle gelang. Ein eigenartiges Verfahren wurde angewendet, um die Verbindung der in vershciedener Bauweise hergestellten Tunnelstrecken herzustellen. Zu diesem Zweck wurde der Brustschild in den dem Spreefluss zunächst liegenden der drei erwähnten Kasten vorgetrieben, nachdem vorher in der Abschlusswand des letzteren eine genügend grosse Oeffnung hergestellt war. Der auf solche Weise in den Kasten vorgetriebene Schild wurde sodann zerlegt und nach Entfernung des Kastendeckels beseitigt, worauf der Einbau des durchgehenden Tunnelrohres erfolgen konnte.



TAFEL VII.   INNERE ANSICHT DES PRESSLUFT-KASTENS, IN DEN DER BRUSTSCHILD EINGETRIEBEN WURDE
(DER KASTENDECKEL UND DER VORDERE THEIL DES SCHILDES SIND BESEITIGT,
AUS DEM HINTEREN SCHILDTHEIL WIRD DIE QUERWAND ENTFERNT).


3. Verlauf und Ergebnisse des Tunnelbaues.

Es liegt auf der Hand, dass bei diesem Tunnelbau, für den bei der Eigenart der hiesigen Verhältnisse auch im Auslande unmittelbar zu benutzende Vorbilder nicht vorhanden waren, wie bei allen neuen Unternehmungen neben den Kinderkrankheiten vielfache ernste Schwierigkeiten zu überwinden waren, die eine stete Aufmerksamkeit und Kampfbereitschaft der Beamten und Arbeiter erforderten.

Ein näheres Eingehen auf die zahlreichen bemerkenswerten Vorkommnisse während des Baues würden zu weit führen, zumal hierbei ein tieferes Eindringen in die technischen Einzelheiten erforderlich sein würde. Von allgemeiner Bedeutung dürfte auch nur die Thatsache sein, dass es trotz der ungünstigen Art des zu durchfahrenden Untergrundes und der sich hieraus und aus der Neuheit des Unternehmens ergebenden Schwierigkeiten gelungen ist, die Tunnelanlage in zweckentsprechender Anordnung, in geplanter Richtung und standfester und dauerhafter Beschaffenheit herzustellen und so abzudichten, dass der Tunnel wohl zu den trockensten seiner Art zu rechnen sein wird. Wenn hierdurch die namentlich bei Beginn der Bauarbeiten auch von namhafter Seite angezweifelte Möglichkeit und Zweckmässigkeit unseres Bauverfahrens unwiderleglich dargethan sein dürfte, so ist es auch besonders erfreulich, dass nennenswerte Unfälle bei dem Tunnelbau nicht vorgekommen sind und dass die Beamten und Arbeiter die jahrelange Thätigkeit in der Pressluft ohe Nachteil ertragen haben. Der einzige Uebelstand, der sich während des Tunnelbaues herausstellte, bestand darin, dass manchmal der Inhalt der geförderten Bodenmassen etwas grösser war, als der Raum, der von dem fortschreitenden Tunnelrohr ausgefüllt wurde, sodass Sackungen des Geländes über und dicht neben dem Tunnel entstanden. Dieser auf einen Mangel des Brustschildes zurückzuführende Uebelstand konnte natürlich während des Arbeitsvorganges nicht beseitigt werden, da eine Aenderung des im Untergrund befindlichen Schildes nicht mehr möglich war. Derartige Sackungen hatten übrigens auf den Bau des Spreetunnels keinerlei Nachteile; bei zukünftigen ähnlichen Bauten können sie durch angemessene Aenderung des Brustschildes vermieden werden.



TAFEL VIII.   INNERE ANSICHT DES FERTIGEN TUNNELS.


Erwähnenswert bleibt noch, dass der Spreetunnel der erste in Deutschland mit dem Brustschilde vorgetriebene Tunnel ist. Unseres Wissens ist er überhaupt der erste Tunnel, der in ganzer Länge vollständig systematisch in schwimmendem Gebirge unter einem Flusslaufe erbaut ist und zugleich in erheblicher Länge in einer scharfen Krümmung liegt.

Für die Reichshauptstadt Berlin hat der Spreetunnel noch eine besondere Bedeutung; er wird für sie eine Sehenswürdigkeit bilden; er stellt eine neue Verbindung zwischen den beiden Ufern der Spree und den Ortschaften Stralau und Treptow her, durch die die hohe landschaftliche Schönheit dieser Gegend in keiner Weise beeinträchtigt wird; er verschafft der städtischen Verwaltung einen nicht unbeträchtlichen Vermögensvorteil, da sie vertraglich berechtigt ist, schon nach 36 Jahren von diesem mit grossen Kosten hergestellten Bauwerk unentgeltlich Besitz zu ergreifen; er liefert endlich den Beweis, dass die schwierigsten Teile eines Netzes Berliner Untergrundbahnen, die Unterfahrungen der Wasserläufe, mit voller Sicherheit ausführbar sind.

Dieser letztere Umstand hat die früheren Zweifel an der Durchführbarkeit der beschriebenen neuen Bauweise bereits verscheucht und gestattet es nunmehr auch, ohne Zargen der grossartigen Unternehmung Berliner Untergrundbahnen ernstlich näher zu treten und hierdurch die vielfach erörterte Schnellverkehrsfrage ihrer Lösung entgegenzuführen.

Hierzu ein kräftiges

"Glück auf!"

Berlin, im Juni 1899.


Gesellschaft für den Bau von Untergrundbahnen.

(G. m. b. H.)


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